Brief von Robert Franz an Erich Prieger vom 27. Januar 1882
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- Full title: Brief von Robert Franz an Erich Prieger vom 27. Januar 1882
- Date: 27.01.1882
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Mein lieber Herr u. Freund!
Die Beantwortung der Frage, wie sich das Verhältniss zwischen Text u. Musik in der Arie, der Ballade u. dem Liede gestalten müsse, hat für jede dieser Formen ihre eigenthümliche Schwierigkeit. Zwar versuchte ich bereits bei Gelegenheit der Publication der Bach'schen u. Händel'schen Arien meiner Ansicht der Arienform gegenüber Ausdruck zu geben, doch gestehe ich, dass noch sehr viel daran fehlt, mit diesen Bemerkungen den Gegenstand erschöpft zu haben. Erlauben Sie mir, Ihnen hier noch Einiges hinzufügen.
Bei Händel kommt das Detail des Textes weniger zur Geltung, wie bei Bach, was sich theils aus der Verschiedenartigkeit ihrer Stoffe, theils aus der Differenz ihrer Veranlagung erklärt: jener ist Plastiker, dieser eine durch u. durch innerlicher Natur. Die Partien aber, wo sich Beide der modernen Behandlung des Textes nähern, sind die ariosen Recitative, denn hier lassen sie sich keine Gelegenheit entgehen, die Worte im feinsten Detail auszuführen, ohne doch dabei die Grundstimmung aus dem Auge zu verlieren. Die schönsten Beispiele dieser Art enthält Bach's Matthäus-Passion — ich habe in ihnen späterhin das mir selbst unbewusste Vorbild zu meinen Liedern entdeckt.
Die modernen Texte erheben nun, wie Sie richtig bemerken, einen grösseren Anspruch auch in den Einzelheiten erfasst zu werden, wie die der Alten, bieten mithin Schwierigkeiten, an denen die Einheit
der musikalischen Ausführung oft genug scheitert. Die Gefahr liegt in dem Nebeneinander der poetischen Momente, die sehr häufig unter sich contrastiren. An dieser fatalen Klippe scheitert Schubert in vielen Fällen — auch Mendelssohn, von Loewe ganz zu schweigen. Alles kommt hier darauf an, das Einzelne einer Gesammtstimmung unterzuordnen, ohne es dabei zu vernachlässigen. Dieser Forderung glaube ich ziemlich nahe zu gekommen zu sein. —
Liszt's Broschüre spricht sich über meine Relationen zu den Dichtern eingehend aus u. drängt diese Untersuchungen in den "Worten zusammen: „Besonders eigentümlich ist Franz die Fähigkeit des
Zurückbiegens der dichterischen Pointe, die ihn stets vor einem Nebeneinander bewahrt". Demnach componire ich den Text nicht, wie er sich in der Zeit entwickelt, sondern beleuchte ihn von jenem Kernpunkte aus. Ist dieser erst entdeckt u. hat er seine musikalische Formel, die sich als Motiv darstellt, gefunden, dann macht sich alles Uebrige wie von selbst. Als Beispiel diene Heine's „Meerfahrt“ op. 18, Nro. 4. Der erste Vers, abgelöst von den übrigen, verlangt entschieden eine heitere Behandlung; auch der zweite schliesst sie keineswegs aus; sogar die ersten beiden Zeilen des dritten widerstreben ihr nicht — nun kommen aber die beiden letzten Zeilen anmarschirt u. werfen alle Fidelität rücksichtslos über den Haufen! — Wäre ich nun der Entwicklung des Textes auf Schritt u. Tritt nachgegangen, so kam für den ersten Vers ein venetianisches Gondellied zu Stande, für den zweiten
etwas Geisterspuk, für den Schluss endlich eine Portion grimmen Weltschmerzes. So verhielt ich mich aber nicht, sondern liess schon im ersten Verse durchscheinen, welche Herrschaften „traulich im leichten Kahn" sitzen.
Vielleicht argwohnen Sie, dass eine solche Auffassung nur durch das Medium der Reflexion gegangen sein kann, würden mir damit aber sehr unrecht thun, denn in diesem Falle wäre schwerlich etwas Brauchbares zum Vorschein gekommen. — Uebrigens lassen sich ähnliche Erscheinungen an vielen meiner Lieder beobachten. Sie dürfen also bei Leibe nicht denken, dass ich nach jenem Recepte mit Bewusstsein verfuhr: diese Auseinandersetzungen sind nur Abstraktionen, die angestellt wurden, um mich nachträglich von diesem oder jenem Vorwurfe zu reinigen. Meine Methode halte ich aber, wenigstens dem Liede gegenüber, für die einzig richtige, — alle anderen führen unausbleiblich zu
Manieren. Ueber mein Verhältniss zu den Texten könnte ich Ihnen hier noch Verschiedenes mittheilen — ich behalte es mir aber für spätere Gelegenheiten vor. —
Dass Loewe ein miserabeler Lyriker war, beweisen die von ihm publicirten Lieder. Dieser Mangel kommt regelmässig zum Vorschein, wenn sich's in seinen Balladen um gefühlvolle Partien handelt. Denken Sie doch nur an das lächerliche Pathos der Stelle: „Helene süss, Helene traut" — mehr brauche ich gar nicht zu sagen.
Dass Ihre Ansicht über Lowe's fadenscheinige Technik neben der von mir behaupteten „Zwiespältigkeit" sehr gut bestehen kann, liegt auf der Hand: für den feineren Ausdruck der Empfindung fehlten dem
Manne offenbar auch die technischen Mittel. Wie plump er oft zu Werke geht, beweist sein „Edward". —
Ihre Citate aus Wagner's Aufsatze waren ganz u. gar am Platze. Wollen Sie mein P r i v a t urtheil über den heiligen Johannes kennen lernen, dann lassen Sie sich von Taubert meine letzten Briefe zeigen
— es stimmt so ziemlich mit dem des Bayreuther Meisters überein. Wagner's Lyrik fusst nicht nur auf der Schubert'schen u. der meinigen, sondern ist mit letzterer in einzelnen Fällen, wo er von ihr gar nichts wissen konnte, wahlverwandt. Mein Sohn machte mich neulich auf eine Stelle in meinem Op. 51 aufmerksam, die fast Note für Note dem Motive der Walkyre gleicht. Das Lied im Op. 51 wurde aber im Jahre 1844 geschrieben, wo an diese Schlachtenjungfrau noch gar nicht zu denken war. Den Beweis dafür kann ich jeden Augenblick führen. Was endlich Wagner's Verhältniss zu Schubert betrifft, so sehen Sie sich das Motiv zur Einleitung des Lohengrin an — Sie werden es in Schubert's „Rose" wiederfinden. Dort ist freilich aus der Phrase etwas sehr Anderes geworden! Denkt man an die Mängel der musikalischen Erziehung Wagner's u. an die Energie, mit der er ihnen Zeit seines Lebens Abhülfe zu schaffen suchte, so muss man erstaunen. Zudem versetze man sich noch in die Lage, mit poetischen u. malerischen Eigenschaften, die den armen Richard vielfach hin u. her gerissen haben mögen, talentirt worden zu sein, so wird das Erstaunen zur Bewunderung. Dass mein künstlerischer Stil eine ganz andere Richtung verfolgt, wie der seinige, kann mich nicht abhalten, dem seltenen Manne Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. . . .
Halle d. 27. Jan. 82. | Ihr ergebenster Rob. Franz. |
Psp.: Auch darin theile ich Ihre Ansicht, dass Wagner in seinen theoretischen Auseinandersetzungen niemals den Nagel auf den Kopf trifft: daran ist lediglich seine Redseligkeit schuld, die er gar nicht unterdrücken kann.